Er ist ein reicher Mann (seine Schätze sind unbezahlbar) – und sowas wie der Wächter des Heiligen Back-Grals. Jeder Homebaker hat schon davon geträumt, entweder seinen Tresor zu plündern oder den eigenen Sauerteig darin unterzubringen.
Karl de Smedt ist der Sourdough Librarian – im #brotokoll erzählt er uns über den womöglich ungewöhnlichsten Job der Welt, Sauerteig-Exoten und gibt den Startschuss für die #brotokoll Fleur de Levain Series.
Fleur de Levain? Lest selbst…
Happy reading & happy baking!

foto credit: Karl De Smedt
Karl, Du bist der Sourdough Librarian – was sind Deine Aufgaben als „Bibliothekar“ und vor allem: Was ist die Sourdough Library?
Die Puratos Sourdough Library in Belgien gibt vielen der weltweit interessantesten Sauerteigen ein dauerhaftes Heim, um diese auch physisch (nicht nur als Rezeptur) für zukünftige Generationen aufzubewahren.
Sauerteige sind lebende, atmende, fermentierte Getreide- bzw. Mehlkulturen und sind von Natur aus sehr „zerbrechlich“. Damit ist gemeint, dass diese Kulturen sehr leicht verloren oder zerstört werden können. So kam es, dass sich Puratos zum Zeitpunkt als man einen sicheren Platz zur Verwahrung von Saatgut gefunden hatte (z.B. im weltweiten Saatgut-Tresor, dem Svalbard Global Seed Vault in Norwegen), in der Pflicht sah, auch das Sauerteig-Erbe wohlbehütet und am Leben zu bewahren. Es war keine große Überraschung: viele der weltweit besten Bäckerinnen und Bäcker waren glücklich und froh darüber, dass sich ein Freiwilliger gefunden hatte, sich um ihre lebenden Sauerteigkulturen außerhalb ihrer Bäckerei zu kümmern. Ihr einzigartiger Sauerteig ist nicht nur ein Teil vom Geschmackserbe dieser Welt, sondern stellt auch die Existenzgrundlage der Bäckereien dar. Bisher haben 108 Bäckerinnen und Bäcker aus 21 Ländern weltweit Proben ihrer Sauerteigkultur zur Verwahrung in die Bibliothek geschickt (Stand: Juli 2018).

foto credit: Karl De Smedt
Die Sammlung wächst kontinuierlich. Der Zweck der Bibliothek verdient jedoch noch eine detailliertere Erklärung. Im wesentlichen geht es um drei Kernziele:
- Bewahrung der Artenvielfalt von Sauerteigen. Auf der ganzen Welt stellen Bäckerinnen und Bäcker Sauerteige her. Das Ziel der Bibliothek in diesem Zusammenhang ist es wichtige Sauerteige zu bewahren: diese kommen entweder aus einer bestimmten Region, oder wurden mit einem speziellen Mehl oder nach einer besonderen Rezeptur hergestellt – oder erzählen eine besondere Geschichte. Sobald die Sauerteige in der Bibliothek landen werden sie gelagert, analysiert und für die Zukunft dokumentiert
- Sicherung. Ein Sauerteig ist die Seele einer Bäckerei. Indem wir uns um ihn kümmern und anderswo am Leben halten als in der Bäckerei selbst, haben wir die Möglichkeit der jeweiligen Bäckerei jederzeit Proben ihres Sauerteigs zur Verfügung zu stellen (etwa für den Fall, dass ihr Sauerteig verloren geht oder die Kultur abstirbt, im Falle eines Unfalls in der Bäckerei). Jeder Bäckerin und jedem Bäcker wird ein Zertifikat und ein symbolischer Schlüssel (um die Bibliothek betreten zu können) ausgehändigt. Beides wird von ihnen in der Kundenkommunikation eingesetzt – um daran zu erinnern, wie wichtig es ist das Sauerteig-Erbe zu bewahren und um aufzuzeigen, dass es eine Garantie gibt, dass der Geschmack der von den Kundinnen und Kunden im Brot so geschätzt wird, niemals verloren gehen wird.
- Forschung. Die Bibliothek ist gewissermaßen auch ein Beweis für die Sauerteig-Expertise und Leidenschaft fürs Brotbacken von Puratos. Die Suche nach der perfekten Beherrschung von natürlichen Fermentierungsmethoden ist eines der Kerngebiete unseres Unternehmens geworden. Außerdem hat die Bibliothek dazu beigetragen eine Basis-Forschung darüber aufzubauen, wie wir dieses Babies am Leben halten können. In der Praxis bedeutet das: regelmäßige Fütterung und durchgängige Aufbewahrung der Sauerteige in der richtigen Umgebung.
Als Sourdough Librarian manage ich die Bibliothek – das heißt im Wesentlichen, dass ich mich gemeinsam mit meinem Team um die Fütterung der Sauerteige kümmere. Dazu kommt, dass wir jedes Jahr die Mehle aus den Regionen beschaffen, aus denen die Sauerteige stammen (bzw. mit denen sie hergestellt wurden). Ein weiteres Aufgabengebiet ist die Bewerbung der Bibliothek mit The Quest for Sourdough. Dabei handelt es sich um ein Programm (die Onlinevariante der physischen Bibliothek) um alle Sauerteige weltweit zu erfassen. Auf diese Weise können wir leichter die Entscheidung darüber fällen, welcher Sauerteig unbedingt einen Platz in der Bibliothek, zur Bewahrung für die Zukunft erhalten soll.
Ich denke, dass ich einen absolut einzigartigen Job habe – es gibt nirgendwo auf dieser Welt eine andere Sauerteig-Bibliothek. Filme darüber drehen, Geschichten der Sauerteige erzählen, Stories in den Social Media teilen und Kurse über die Wissenschaft hinter den Sauerteigen geben – ich bin wirklich ein Glückspilz 😉
Wie bekommt man einen Platz für seinen Sauerteig im Archiv der Bibliothek (sowohl für Homebakers als auch für Profis)?
Sobald ein Sauerteig auf der Website registriert wird (The Quest for Sourdough), können wir bereits Mehl, Ort, Besitzer sowie den Prozess evaluieren, wie der Sauerteig hergestellt wurde. All diese Informationen sind ausschlaggebend für die Entscheidung, ob wir einem Sauerteig einen Platz anbieten oder nicht. Im Moment können wir etwa 21 neue Sauerteige pro Jahr in die Bibliothek aufnehmen. Die Sauerteige kommen von Homebakers, Schulen, klassischen Handwerksbackstuben, Industriebäckereien und sogar von Pizzerien.

foto credit: Karl De Smedt
Du bist viel gereist und hast viele Sauerteige gesehen und sicherlich auch „verkostet“ – könntest Du uns drei Deiner Favoriten nennen und erzählen was an Ihnen so besonders ist?
Es ist schwierig nur drei zu nennen. Es ist so, dass die Sauerteige über die ich Videos drehe für mich noch mehr Bedeutung haben, da ich eine persönliche Geschichte mit ihnen verbinde. #72 aus Mexiko ist sehr speziell, da er mit Eiern, Bier und Limette gefüttert wird. Darüber hinaus reicht seine Geschichte zurück bis zu einem Soldaten namens „Camille Pirotte“ der unter Kaiser Maximilan I gedient hatte. Pirotte könnte belgische Wuzeln gehabt haben. Oder #100 aus Tokio, Japan, der aus gekochtem Reis hergestellt wird. Auch dieser Sauerteig hat eine lange Geschichte die ins Jahr 1873 zurückführt. Sein Aroma ist absolut unverwechselbar. Und schließlich #43. Dieser Sauerteig stammt aus San Francisco und war der erste Sauerteig den ich je in meinem Leben gesehen habe. Als ich 1994 bei Puratos als Testbäcker startete, war es eine meiner Aufgaben diesen Sauerteig jede Woche zu füttern und aufzufrischen. Mit ihm habe ich mein erstes Sauerteigbrot gebacken.
Wenn wir über Sauerteig sprechen – für Dich als Spezialisten auf diesem Gebiet – was sind die wichtigsten Eigenschaften eines guten, gesunden und tirebkräftigen Sauerteigs?
Ein guter Sauerteig hat eine gute Fermentationskraft und einen angenehmen Duft. Wenn das Glas, in dem der Sauerteig fermentiert, nach einigen Stunden geschüttelt wird, sollte eine schöne blubbernde Masse zu sehen sein.
In vielen Ländern kehren Bäckerinnen und Bäcker wieder zum ursprünglichen Backen (natürlich fermentiertes Brot) zurück. Wie siehst Du diese Entwicklung?
Heutzutage sprechen wir von disruptiven Business Modellen wie etwa von Uber oder airbnb, die nicht nur den Markt verändern, sondern auch die Art und Weise wie sich Menschen fortbewegen, oder in welchen alternativen Unterkünften sie ihre Zeit verbringen. In der Bäckerei haben diese Entwicklungen bereit vor 150 Jahren begonnen als Louis Pasteur sein Werk “Mémoire sur la fermentation alcoolique” schrieb. Er hat damit die Produktion von Bäckerhefe im großen Stil eingeleitet. Bäcker hatten plötzlich eine Zutat die einfacher zu lagern, zu erhalten und zu dosieren war. Für sie war es ein schnellerer und einfacherer Weg ihre Brote zu fermentieren. Sie konnten plötzlich größere Mengen an Brot in einer wesentlich kürzeren Zeit herstellen. Die Kontrolle über die Fermentation war besser und sie waren nicht länger Sklaven ihres Sauerteigs. Sie haben diese „Wunder“-Zutat an sich gerissen und eine 5000 Jahre alte Methode Brot herzustellen komplett vernachlässigt und vergessen. In anderen Bereichen der Fermentation wie etwa beim Brauen von Bier, oder bei der Herstellung von Wein und Käse, hat man das Wissen bis heute von einer Generation zur nächsten weitergereicht. Nicht so im Bäckerhandwerk – viele Bäckerinnen und Bäcker haben nie gelernt Sauerteig herzustellen, geschweige denn damit zu backen.

foto credit: Karl De Smedt
Sauerteig kehrt in den Bäcker-Alltag zurück. Puratos, das Unternehmen für das ich arbeite, stellt Sauerteig seit 1994 her. Diesen bieten wir seitdem Bäckereien an. Einige lieben ihn, andere wehren sich nach wie vor dagegen. Es gibt einen regelrechten Kampf um die besten Brote auf dem Markt. Der Erfolg der typischen Sauerteigbäckereien spricht aber für sich – Sauerteig ist ideal um sich von der Masse abzugrenzen. Warum? Weil es einzgartig ist und Bäckerinnen und Bäckern hilft Brote mit ihrer Handschrift zu backen. Sauerteig kombiniert mit einem besseren Verständnis für aktuelle Entwicklungen, Kühlungstechnologien und Back-Know-How ermöglicht es Bäckereien zu diesem 5000 Jahre alten Prozess zurückzukehren.
Bist Du auch ein Homebaker? Welcher ist Dein Lieblings-Sauerteig?
Ich habe meinen Abschluss an der Bakery and Patisserie School in Brüssel, Belgien gemacht. Vor Puratos habe ich ich sechs Jahre lang als Konditor in einer Konditorei in Brüssel gearbeitet. Danach bin ich viel gereist, als technischer Berater und später als Product Trainer. Im Jahr 2002 wurde ich auf Mehl allergisch und ich musste meine Vollzeit-Tätigkeit in der Bäckerei einstellen. Seit 2008 bin ich verantwortlich für das Puratos Center for Bread Flavour. Dabei handelt sich um eine Expertise Center wo sich Kundinnen und Kunden aus aller Welt Sauerteig-Wissen aneignen können. Inspiration inklusive. Seit 2013 ist im Center auch die Sauerteig Bibliothek integriert.
Ich backe auch zuhause. Im Moment mit drei Sauerteigen. Barbara & Amanda könnt Ihr auch auf The Quest for Sourdough finden. Der dritte im Bunde ist Ione’s, ein Sauerteig der bis zum Klondike Goldrausch zurückreicht und den ich auf meiner letzten Quest for Sourdough Reise bekomme habe.

foto credit: Karl De Smedt
Alle Homebaker haben dasselbe Problem: nach dem Füttern bleibt jedes Mal eine größere Menge an nicht benötigtem Sauerteig übrig. Stichwort „Fleur de Levain“ (Sauerteig-Mehl). Wie kamst Du auf diese toll schmeckende und nachhaltige Idee?
Die Idee ist sehr einfach. Ich wollte eine andere Möglichkeit schaffen, diese Reste in Waffeln, Cookies und Pancakes, wie sonst üblich, zu verarbeiten. Noch genauer: ich wollte einen einzigartigen Weg aufzeigen, wie Homebakers zusätzliche Aromen schaffen können, die man sonst niemals erzielt. Sauerteig, Hydrationslevels (das Spiel mit mehr oder weniger Wasser im Teig), Fermentationszeiten und Temperaturen – egal an welcher Schraube man dreht, diese zusätzlichen Aromen bekommt man einfach nicht. Wir trocknen bei Puratos Sauerteig seit 1994, daher wusste ich was ich tue. Zu zeigen wie man #fleurdelevain herstellt war für mich auch eine Chance zu zeigen, was Sauerteigpulver ist und wie es hergestellt wird. Natürlich machen wir das in wesentlich größeren Mengen, in einer kontrollierten Umgebung und verwenden keinen übrig gebliebenen Sauerteig. Es gibt viele Leute die meinen Sauerteigpulver wäre chemisch hergestellt. Das ist einfach nicht wahr. Es ist vergleichbar mit anderen Lebensmitteln die getrocknet werden, wie etwa Milchpulver. Milchpulver hat vielleicht sogar ein noch größeres Anwendungsfeld als Milch selbst. Milchschokolade beispielsweise könnte ohne Milchpulver nicht hergestellt werden. Getrocknete Tomaten, Rosinen oder Kräuter. Es gibt viele Beispiele von Zutaten die getrocknet verwendet werden um neue oder andere Aromen, Farben und Geschmacksnuancen zu schaffen. Auf mein #fleurdelevain Tutorial Video habe ich sehr viele großartige Reaktionen erhalten. Sauerteigpulver kann verwendet werden um Broten zusätzliches Aroma zu geben, aber auch um ein völlig neues Geschmacksprofil im bestehenden Sauerteigprozess entstehen zu lasen. Wir nennen es „Our Flavours, Your Taste“ da es mit jeder Art von Sauerteig umsetzbar ist.
Hast Du zum Abschluss noch eine Empfehlung oder einen Ratschlag für alle Homebakers die mit Sauerteig backen?
Zunächst möchte ich Euch alle dazu einladen Eure Sauerteige zu registrieren und mich auf The Quest for Sourdough zu begleiten. Behandelt Euren Sauerteig mit Liebe und Respekt. Bewahrt ihn im Kühlschrank auf wenn Ihr nicht damit backt und füttert ihn jedenfalls alle zwei Monate. Tut Ihr das nicht, werden einige der bestehenden Mikro-Organismen verloren gehen. Er lässt sich natürlich länger ungefüttert im Kühlschrank aufbewahren, aber bei der nächsten Fütterung werden neue Mikro-Organismen entstehen, die Euer Anstellgut verändern werden. Es gibt eine große Community auf Facebook. Für mich sind Gruppen wie mipano oder Perfect Sourdough eine tolle Quelle für den Wissensaustausch. Und ich freue mich natürlich über alle Leserinnen und Leser des Artikels die meine Seite Quest for Sourdough liken oder mir auf Instagram folgen möchten @the_sourdough_librarian.
Vielen Dank Karl für das Interview und Deine Zeit – es ist eine Ehre und Freude Dich hier im #brotokoll zu haben!
Und? habt Ihr Euren Sauerteig schon registriert? LOS geht’s! Vielleicht findet sich auch Euer Schatz bald im Tresor des Sourdough Librarian wieder!